Impulse

Zeitungsandachten

Die offene Tür

Wir feiern Ostern. Die Auferstehung Jesu. Das Grab ist leer. Jesus lebt. Und es sind die Begegnungen mit Jesus, die die Jünger und Jüngerinnen erkennen lassen: Jesus lebt. Er ist da, im Brotbrechen, im Miteinander.
Das Grab ist leer. In einem Bild ist es schon heiter stimmend in der Corona-Zeit über unsere Mobiltelefone gewandert: Da ist eine leere Grabeshöhle zu sehen. An der Seite liegt ein großer Stein. Und unter dem Bild steht: „Das mit der Ausgangssperre hat zu Ostern noch nie geklappt.“
In der Woche vor Ostern bin ich in Wien und besuche dort in der lutherischen Stadtkirche den Gottesdienst und höre am Abend die Johannespassion von Bach. Immer wieder wandert mein Blick in den Altarraum in die Höhe. Über dem Altar gibt es eine Empore. Sie ist unbenutzt. Warum sie überhaupt da ist, weiß ich nicht. Oben auf der Empore gibt es eine Tür. Die Tür ist nicht verschlossen, sie ist leicht geöffnet. Na, denke ich, wer hat denn die Tür nicht zu gemacht? Und ich denke, daran hätte man ja denken können, dass die Tür da oben für alle zu sehen ist, und wenn sie offen steht, ist das doch unachtsam.
Über der Tür ist das Notausgangsschild angebracht, in grün-weiß bedruckt, und es ist sogar beleuchtet. Wer braucht dort ein beleuchtetes Notausgangsschild, frage ich mich. Neben der Tür, die links auf der Empore liegt, steht ein Bibelwort in goldenen Buchstaben: „Der Herrn Wort bleibet in Ewigkeit.“
Immer wieder gucke ich nach oben zu der geöffneten Tür. Und ich sehe das beleuchtete Schild, das den Notausgang kennzeichnet.
Vielleicht soll die Tür sogar offen sein, denke ich. Wer hier in die Kirche kommt, soll doch merken, wohin der Notausgang führt, und dass er geöffnet ist, da oben, in der Höhe.
Und all das, weil Gott seine Tür öffnet. Für mich, für dich. Weil Jesus getragen wird in ein neues Leben. Darum feiern wir Ostern. Bei uns, weltweit – und in Wien. Die offene Tür da oben, das ist ein Symbolbild für mich. Für das geöffnete Grab, für den Notausgang aus Lebenssituationen. Die geöffnete Tür, ein Zeichen für Gott, der da ist, sich nicht verschließt. Der Weg ist leuchtend gekennzeichnet. Vielleicht sogar wie eine Pforte zum
Himmel.
Ja, denke ich, das ist der Hit, diese offene Tür, die einfach so da ist. Gott, der da ist. Mit seinem Licht. Gott schenke uns allen den Blick in die Höhe und dass wir seine geöffnete Tür entdecken.

Matthias Winkelmann

Pastor in der Kirchengemeinde Neuenkirchen

Erschienen am 6. April 2024 in der Böhme-Zeitung

Archiv

Meine Mutter hat ein Knöllchen bekommen. Das allein ist nicht spektakulär genug, um es zu erzählen, aber der Hintergrund dazu durchaus. Sie hatte einen Arzttermin in der nächstgrößeren Stadt. Sie ist über 80, fährt aber noch selbst souverän Auto. Sie hatte einen Parkplatz in der Nähe der Praxis gefunden und wollte ein Parkticket ziehen. Jedoch: Es gab keine herkömmlichen Automaten mit Münzeinwurf, sondern nur noch digital zu erwerbende Tickets. Nun besitzt meine Mutter trotz ihres Alters ein Smartphone und nutzt es regelmäßig. „Einfach die Park-App herunterladen und ganz bequem per Mobiltelefon bezahlen“ kann sie jedoch nicht. Es war ihr nicht möglich, digital einen Parkschein zu kaufen – und eine analoge Alternative gab es dort im Umkreis nicht. Inzwischen nahte der Arzttermin und sie musste wohl oder übel ihr Auto ohne Ticket zurücklassen. Ergebnis: Knöllchen.

Das ist nicht nur ein ärgerliches bis empörendes Erlebnis. Es kann bei einem älteren Menschen ja auch ein Gefühl zurückbleiben von „Ich kann das nicht mehr, ich bin dem Alltag nicht mehr gewachsen, ich gehöre nicht mehr dazu“. Und dann beginnt die Selbständigkeit tatsächlich zu bröckeln, das Selbstbewusstsein auch.

Digitalisierung wird hochgelobt und immer wieder eingefordert. Sie erleichtert in der Tat vieles, aber: Dieses alltägliche Beispiel hinterlässt auch die Frage, wie wir als Gesellschaft mit alten Menschen umgehen – und mit denen, die aus welchen Gründen auch immer digital nicht so bewandert sind. Werden da nicht viele abgehängt und bleiben auf der Strecke? Gilt es nicht, die an dieser Stelle Schwächeren mitzunehmen, um ihnen möglichst lange die Selbständigkeit zu erhalten und Teilhabe zu ermöglichen? Sind wir als jüngere Generationen das nicht auch alten Menschen schuldig? „Vater und Mutter sollst du ehren“ – das ist aus den Zehn Geboten allgemein bekannt. Aber die Bibel fordert generell den Respekt vor alten Menschen, z.B. im 3. Buch Mose: „Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und die Alten ehren…“ (3. Mose 19, 32). Respekt, Wertschätzung, Anerkennung sind alle der älteren Generation schuldig, im persönlichen Bereich sowieso, aber auch in den gesellschaftlichen Strukturen. Ich finde: Dazu gehört auch, dass nicht alles und jedes digital sein kann – aus Rücksicht.

Maren Zerbe

Pastorin in der Kirchengemeinde Neuenkirchen und in der Region Schneverdingen-Neuenkirchen-Heber

Erschienen am 24. Februar 2024 in der Böhme-Zeitung

„One of us“, ein Lied von Joan Osborne, das mancher aus dem Radio kennt, haben wir neulich auf der Konfirmandenfreizeit unserer Region gesungen. Wie wäre das, wenn Gott einer von uns wäre? Wenn Jesus uns im Bus begegnen würde?

Ein interessantes Gedankenspiel, das mir gefällt. Wie wäre das, wenn Jesus bei mir zuhause einziehen würde? Wenn Jesus mit mir auf Reisen ginge? Was würden wir unternehmen und erleben? Worüber würden wir reden? Der Hamburger Pastor Jonas Goebel hat dieses Gedankenspiel ausgiebig weitergespielt und in eine schriftliche Form gegossen. Auf humorvolle Weise erzählt er in seinem ersten Buch „Jesus, die Milch ist alle“ von Jesus als neuem Mitbewohner in seiner Wohngemeinschaft, Martin Luther im Schlepptau. Im Fortsetzungsband „Jesus, Füße runter!“ taucht Jesus überraschend bei dem jungen Pastor und seiner Freundin Trixi wieder auf und begleitet sie bei ihrer Interrail-Tour durch Europa. Sarajevo, Istanbul, Rom, Paris, London Lissabon, die Lofoten. Partys im Zug, gemeinsame Erlebnisse in Casinos, Hostels und Disneyland – überall ist Jesus dabei. Jesus – eine verstaubte Figur von vor über 2000 Jahren, irrelevant für die Gegenwart? In seinen Büchern gelingt es Jonas Goebel, Jesus lebendig werden zu lassen. Sympathisch ist er, aber auch manchmal eine Nervensäge, zurückhaltend, aber manchmal auch aufdringlich. Einer, der überraschende, wundersame Lösungen aus der Tasche zaubert.

In den lockeren und witzigen Grundton sind tiefgehende Themen über Glauben und Nachfolge, über Tod und Leben, Liebe und Leid, die Kirche und ihre Verfehlungen eingewoben. Und gerade wegen der leichten Schreibweise kommen die Themen nicht schwerfällig, langweilend oder belehrend daher. Sie sind mitten im Leben verortet, mittendrin, bewegend und relevant. Zugegeben, manches ist frech und etwas verrückt. Aber es bringt dabei die Gedanken weiter: auf welche Menschen Jesus heute zugehen würde, wie er Konflikte lösen würde, wie er leben würde.

Ein lebendiges Buch, das sich zu lesen lohnt – für Konfirmandinnen und Konfirmanden rund um die Konfirmation und überhaupt für alle, die einen niedrigschwelligen Einstieg wollen, um über den christlichen Glauben (wieder) zu sprechen. Für alle, die sich einlassen mögen auf das inspirierende Gedankenspiel: Wie wäre es, wenn Jesus bei mir auftauchen und einer von uns würde…?

Maren Zerbe

Pastorin in der Kirchengemeinde Neuenkirchen und in der Region Schneverdingen-Neuenkirchen-Heber

Erschienen am 04. März 2023 in der Böhme-Zeitung

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